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Kolumne: Das Grün bröckelt ab

von Florian Wimmer 21.01.2010

Giftgrüne IT?

Wenn Sie notebookcheck.com lesen, darf man wohl davon ausgehen, dass Sie einen Laptop besitzen oder zumindest mit dem Gedanken spielen, einen zu kaufen. Gut! Denn damit machen Sie den ersten Schritt dahin, was die Marketingabteilungen der Hersteller so gerne als „Green IT“ bezeichnen. Aber gibt es sowas wie einen „umweltfreundlichen Computer“ überhaupt?

So haben es die Marketing-Abteilungen am liebsten: Alles grün!
So haben es die Marketing-Abteilungen am liebsten: Alles grün!

Umweltschutz liegt voll im Trend. Umsichtige Väter mit Kleinkindern im Öko-Baumwoll-Tragetuch kaufen Bio-Babynahrung und fahren dann im Elektroauto zum solargepowerten Niedrig-Energie-Häuschen zurück. Auch die IT-Branche hat längst erkannt, dass sich mit grüner Technik nicht nur Kunden gewinnen lassen, sondern auch das Ansehen des Unternehmen steigern lässt: Gütesiegel wie der Energy Star oder eine TCO-Zertifizierung sind bei den Herstellern begehrter denn je und auf den Internetseiten der Computer-Giganten rücken die Umweltinfos immer weiter nach vorne.

Sein und Schein

Dabei sollte man sich als mündiger Verbraucher nicht zu sehr von den Gewissensberuhigungen der Marketing-Abteilungen einlullen lassen. Sicher, durch das neue öffentliche Umweltbewusstsein sind die Hersteller ermutigt worden, giftige Stoffe in ihren Geräten zu reduzieren, energieeffizienter herzustellen und weniger Rohstoffe einzusetzen.

So behauptet der Hersteller Toshiba auf seiner Webseite, heute 2,05 mal so umweltfreundlich zu wirtschaften, als noch im Jahre 2000. HP will bis 2011 den Energieverbrauch aller Produkte um 40 Prozent senken. Dell möchte in den nächsten zwei Jahren 10 Millionen Kilogramm an Verpackungsmaterial einsparen und steckt einige Computer in besonders umweltfreundliche Bambus-Verpackungen, deren Rohstoff auch noch pandafreundlich angebaut wird.

Natürlich sind das alles lobenswerte Ansätze, aber da Begriffe wie „Green IT“ oder „umweltfreundlich“ nicht geschützt sind und damit ihre Bedeutung auch nicht endgültig definiert, kann sich jedes Marketingdepartment seine eigene, passende Definition zurechtlegen.

Zudem sind die Initiativen der Unternehmen für Kunden nur schwer nachzuprüfen: Angenommen Toshiba hätte im Jahr 2000 besonders umweltschädlich gewirtschaftet, dann wäre eine Verbesserung um den Faktor 2,05 gar nicht so gut. Und wieviel Prozent seines Verpackungsmaterials spart Dell eigentlich mit den angepeilten 10.000 Tonnen ein? Zehn Prozent? Ein Prozent? Ein Promill? 0,1 Promill? Auf Dells Webseite finden sich dazu keine Angaben.

Noch mehr Umweltprobleme

Brom, Quecksilber oder PVC würde sich sonst wohl niemand freiwillig ins Haus holen.
Brom, Quecksilber oder PVC würde sich sonst wohl niemand freiwillig ins Haus holen.

Zudem gibt es Faktoren, die die Umwelt wesentlich stärker belasten als Verpackungsmaterial: Beinahe jedes IT-Gerät wird heutzutage in Südostasien gefertigt, wo praktischerweise auch Umweltrichtlinien laxer umgesetzt werden, als in westlichen Ländern. Allein durch den Transport der Computer in alle Welt entsteht eine enorme Umweltbelastung und für das Jahr 2010 rechnen die großen Logistikkonzerne damit, dass nochmals 15 bis 20 Prozent mehr Güter von und nach Südostasien transportiert werden.

Dann ist da noch das Problem mit den Schadstoffen: Hochgiftige Stoffe wie Quecksilber, Brom oder PVC kommen in fast jedem IT-Gerät zum Einsatz. Dabei ist nicht nur die Entsorgung nach dem, oftmals recht kurzen, Lebenszyklus des Geräts ein Problem, sondern schon die Gewinnung dieser Materialien ist aus sozialen und ökologischen Gesichtpunkten oft heikel.

Denkfehler und vielleicht sogar Gegenbeispiele

Einer der größten Denkfehler beim Schlagwort Green IT ist dementsprechend, dass sich durch neue Produkte Ressourcen einsparen ließen. Das kann der Fall sein, aber nur, wenn die aufgewendete Energie und die verbrauchten Ressourcen bei der Herstellung des neuen Produktes und der Entsorgung des alten geringer sind. Geringer nämlich als der Mehrverbrauch an Energie, wenn das alte Gerät weiter betrieben wird. Und das müsste in jedem Einzelfall berechnet werden.

Angesichts all dieser Probleme macht es wenig Mut, wenn Unternehmen auf ihren Webseiten bloße Absichtserklärungen veröffentlichen und kaum konkrete Zahlen zum Umweltschutz nennen. Und wenn doch, dann entsprechen manche großartig präsentierten „Errungenschaften“ einfach den gesetzlich vorgegebenen Maßnahmen.

Bei einigen Herstellern hat man allerdings dass Gefühl, dass sie über die außenwirksame Kosmetik hinaus Innovationen bereitstellen, die die IT ihrem Green-Status wirklich ein bisschen näher bringen.

Ausgerechnet aus China, dem Land, das oft als großer Umweltsünder gegeißelt wird, kommt Lenovo und stellt Produkte vor, die zu 90% wiederverwertet werden können, lässt seine Systeme auf bis zu 2000 Giftstoffe testen und verzichtet dann darauf, bietet sogar Solarzellen für Rechenzentren an... Und wird bald darauf von Greenpeace im aktuellen Umweltranking „Guide to Greener Electronics“ auf den vorletzten Platz gewählt, weil das Unternehmen immer noch giftige Chemikalien in seinen Produkten verwendet.

Mehr Geräte = mehr Energieverbrauch!

Auch angesichts der Berge von Elektro-Schrott bröckelt das grüne Image.
Auch angesichts der Berge von Elektro-Schrott bröckelt das grüne Image.

Natürlich ist es lobenswert, wenn ein Thema wie Green IT in den Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit gerät und die Unternehmen dazu zwingt, auch über die gesetzlichen Vorgaben hinaus auf Umweltschutz zu achten.

Die Gefahr besteht nur darin, dass Politik und Wirtschaft sich mit Schlagworten und vermeintlichen Errungenschaften brüsten, ohne das eigentliche Problem, den horrenden Energie- und Ressourcenverbrauch der IT-Industrie lösen zu können oder zu wollen: Wirklich effektives Umweltmanagement kostet die Unternehmen viel Geld, zudem müssen interne Informationen herausgegeben werden, um beispielsweise Umweltsiegel zu erhalten... und plötzlich nehmen Unternehmen den Datenschutz sehr ernst und verzichten lieber auf ein Okö-Prädikat, als ihre wertvollen Daten zu veröffentlichen.

Ein weiteres Problem ist die ständig steigende Zahl der IT-Geräte: Letztes Jahr, kurz vor Beginn der CeBit mit dem Schwerpunktthema Grüne IT wies die Deutsche Bank Research darauf hin, dass bis 2020 IT-Geräte für rund die Hälfte des gesamten Stromverbrauchs aller Privathaushalte verantwortlich sein werden. Selbst wenn die Geräte also effizienter im Umgang mit Energie werden, wird durch ihre stetig steigende Zahl der Ressourcenverbrauch weiter zunehmen.

Und jetzt?

Aber nicht nur die Industrie ist gefragt, auch die Verbraucher sollten sich bewusst sein, welche Berge an Elektroschrott sie durch ihr Kaufverhalten anhäufen und wie viele kostbare Rohstoffe selbst in der grünsten IT stecken.

Diese Überlegungen fließen dann hoffentlich auch in manche Kaufentscheidung ein: Anstatt des neuen Billiglaptops kann ein gebrauchter und professionell überholter Business-Laptop die bessere, vielleicht sogar die günstigere und in jedem Fall die umweltschonendere Wahl sein. Solche Geräte gibt es inklusive Gewährleistung bei spezialisierten Händlern. Oder vielleicht tut's der alte Laptop ja auch noch ein, zwei Jahre.

Wenn es wirklich ein neuer sein soll, zeigen Sie den Herstellern doch, dass Ihnen das Thema wichtig ist und fragen sie vor dem Kauf per Email oder Telefon nach, ob das Produkt umweltschonend gefertigt wird und wie es generell um Umweltschutz beim Hersteller steht.

Und wenn ihr Computer kurz nach Ablauf der Garantie den Dienst versagt und die Hotline Ihnen die lange Nase zeigt, dann rächen Sie sich doch, indem Sie alle noch verwertbaren Teile (DVD-Laufwerk, Akku, Arbeitsspeicher, Festplatte) ausbauen und den Rest an den Hersteller zurückschicken. Der ist nämlich verpflichtet, seinen Elektronikschrott zurückzunehmen. Klingt alles anstrengend, aber IT braucht vor allem aufgeklärte und aktive Verbraucher, um irgendwann vielleicht wirklich das Prädikat „Green“ zu verdienen.

Natürlich ist es schwierig, sich den Kauf des neuen Core i7-Laptops mit starker Grafikkarte zu versagen und im Vergleich zum Hochleistungs-PC mit 1000 Watt-Netzteil ist es in jedem Fall die umweltschonendere Wahl. Dabei sollte man sich nur einer Sache bewusst sein: Umweltfreundlichere Computer gibt es, umweltfreundliche nicht.

Gemeinsam können Industrie und Verbraucher die IT wirklich "green" machen, oder?
Gemeinsam können Industrie und Verbraucher die IT wirklich "green" machen, oder?
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Kommentar von Florian Schmitt
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Autor: Florian Wimmer, 21.01.2010 (Update:  9.07.2012)