Am 07. Dezember 2004 passierte das undenkbare: IBM, der Übervater der PC-Industrie, verabschiedete sich aus dem Geschäft. Die bekannteste Marke von IBM, das ThinkPad, sollte von nun an von einer chinesischen Firma namens Lenovo hergestellt werden - und das wird sie auch bis heute noch. Wie konnte das passieren? Und wie eroberte Lenovo die Krone des weltgrößten PC-Herstellers nach Verkaufsvolumen?
IBM Probleme, Legends Chance
Es war einmal vor langer Zeit: Der Desktop- und Laptop-PC-Markt war fast ausschließlich in der Hand US-Amerikanischer Firmen. HP, Dell, IBM und Compaq waren Anfang der 2000er die großen Player. Allerdings deutete sich bereits jetzt ein Paradigmenwechsel an. Neue Mitbewerber aus Asien drängten auf den Markt, wie Acer, Asus und Legend. Das sind Firmen, die zuvor für die Amerikaner PCs herstellten und sie nun lieber unter eigenem Namen vermarkten wollten. Gleichzeitig entwuchs der Laptop-Markt dem Markt für stationäre PCs und die Laptop-Preise begannen stark zu fallen, wodurch Laptops für viele Endkunden erschwinglich wurden. Die PC-Hersteller lieferten sich einen harten Preiskampf.
Das war der Hintergrund für IBMs Entscheidung im Jahr 2004. Die vormals profitable PC-Sparte mutierte zu einem Geldgrab für "Big Blue", da IBM nicht mit den anderen Herstellern im Preiskampf mithalten konnte. ThinkPads hatten einen hervorragenden Ruf was die Qualität anging, aber sie waren auch sehr teuer - die IBM ThinkPad T-Serie kostete rund 2.150 Dollar in 2002, was auf heute umgerechnet rund 3.800 US-Dollar oder rund 3.600 Euro wären.
IBM war nicht bereit seine Strategie oder Design anzupassen. Man war schlichtweg nicht daran interessiert, ein Geschäft mit höchstens niedrigen Gewinnmargen weiterzuschleppen.
Deshalb entschied sich IBM, sich zurückzuziehen - aber wer will eine Sparte übernehmen, die Geld verliert? Wie es sich herausstellte, das schon angesprochene Legend, das sich inzwischen als Lenovo rebrandet hatte (auch Dell hatte damals wohl Interesse). Legend war zuvor nur in China als PC-Hersteller aufgetreten und verkaufte dort hauptsächlich günstige PCs für Endkunden. Mit der Übernahme von IBMs PSD löste Legend bzw. Lenovo das goldene Ticket in die westlichen Märkte.
ThinkPad als der Schlüssel: Lenovo expandiert in alle Richtungen
Freilich gab es viele Zweifel, als Lenovo 2005 übernahm. Kann die unerfahrene chinesische Firma wirklich die gleiche Qualität wie IBM erzielen? Wie würde eine Rückkehr zur Profitabilität gelingen? Und entwickeln nun Chinesen die ThinkPads?
Wie sich herausstellte, ging Lenovo bei der Übernahme sehr klug vor: Statt dass die Chinesen direkt übernahmen, machte Lenovo vorherige IBM-Manager zu den Chefs der neuen Firma. IBM-Entwicklungszentren in den USA und Japan blieben erhalten und die ThinkPads trugen noch ein paar Jahre das bunte "IBM ThinkPad"-Logo. Zudem übernahm IBM weiterhin den Support. All das half Lenovo, die bisherigen Kunden von IBM bei Laune zu halten und Vertrauen aufzubauen.
Gleichzeitig traf man die notwendigen Entscheidungen, um zur Profitabilität zurückzukehren. Teure, sich nicht lohnene Hardware-Optionen wie die IBM IPS FlexView-Bildschirme wurden eingestampft. Zudem ging Lenovo enge Partnerschaften mit Intel, Nvidia und Microsoft ein, was im letzteren Fall durch die Einführung der Windows-Taste bei den ThinkPad-Laptops durchschlug. IBM war der einzige Hersteller, der diese bis dahin nicht verbaute. Das Design der ThinkPad blieb davon abgesehen für die ersten Jahre nach der Übernahme weitgehend identisch zu den alten IBM ThinkPads. Lenovo hat sogar neue Premium-Modelle wie das ThinkPad X300 und später das prägende ThinkPad X1 Carbon auf den Markt gebracht. Insgesamt hat Lenovo die ThinkPads als starke Marke im Business-Markt erhalten. Bei den Verkaufszahlen hat man IBM schon lange klar überholt und die Sparte gleichzeitig wieder profitabel gemacht.
Mit der erworbenen Reputation als ThinkPad-Hersteller begann Lenovo auch, in andere Märkte zu expandieren. Zuerst war die Qualität von Lenovos Consumer-Laptops noch niedrig, die Endkunden-Laptops wurden weiterhin von den ehemaligen Legend-Ingenieuren in China entworfen. Aber mit der Zeit haben sich die Endkunden-Geräte von Lenovo ein wenig den ThinkPads angepasst, mit ähnlichen Tastaturen und einer generell verbesserten Qualität. Zudem wurden Premium-Marken wie Yoga und Legion geschaffen.
Am Ende hat es Lenovo geschafft, den Tanker wieder auf Kurs zu bringen. Die Profit-Margen sind vielleicht dünn, aber der PC-Verkauf war dennoch wieder profitabel. Im Jahr 2013 übernahm Lenovo die Position als größter PC-Hersteller nach Absatzvolumen - den Titel hat man auch elf Jahre später noch inne. Mit den Profiten und dem Erfolg im PC-Marke expandierte Lenovo in andere Bereiche: In 2014 kaufte man eine weitere bekannte US-Marke, Motorola Mobility, wodurch man eine bekannte Smartphone-Marke gewann. Im gleichen Jahr schloss sich auch ein anderer Kreis, als IBM seine System X Server-Sparte an Lenovo abstieß.
Was die Zukunft für Lenovo bereithält
Mit den heraufziehenden Sturmwolken eines Handelskriegs zwischen China und den USA ist das Schicksal des Chinesisch-Amerikanischen Hybrids im Ungewissen. Bisher ist es Lenovo gelungen, kein Ziel der US-Regierung zu werden, anders als rein chinesische Tech-Giganten wie Huawei.
Lenovos Abhängigkeit von Partner-Firmen wie Intel könnte sich zudem auch als eine Schwäche herausstellen. Intel war einst der exklusive CPU-Lieferant für ThinkPads und hat seine PC-Partner lange mit Entwicklungshilfe in Form von Geldzahlungen bei Laune gehalten. Sollte Intel auseinanderbrechen, wäre das für Lenovo eventuell ein schwerer Schlag.
Andererseits stellt Lenovo ThinkPad-Laptops wie das ThinkPad T14s Gen 6 mittlerweile auch mit Qualcomm Snapdragon X (verfügbar bei Amazon) und mit AMD Ryzen AI her. Es scheint also, als sei sich Lenovo der Schwäche wohl bewusst, weshalb man auf weitere Partner setzt. Anders als IBM ist Lenovo kein Tech-Gigant mit riesigem R&D-Budget und vielen eigenen Basis-Technologien, weshalb man ultimativ auf Partner wie Intel, AMD und Qualcomm angewiesen ist. Ob sich das als Stärke oder Schwäche herausstellen wird, kann wohl nur die Zukunft zeigen.
Quelle(n)
Eigene
Engadget
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