Mit Captain of Industry befindet sich eine sehr interessante Mischung aus Anno und Factorio schon seit mehreren Jahren im Early Access. Das Spielprinzip ist schnell erklärt: Um Bedürfnisse von Bewohnern zu erfüllen, weitere Bauwerke und Fahrzeuge zu erforschen und zu produzieren, müssen Waren und Materialien in mehr oder weniger komplexen Produktionsketten verarbeitet und hergestellt werden.
Die Unterschiede zu Anno und auch Factorio werden spätestens bei der Etablierung des ersten Tagebaus deutlich: So unterstützt die 3D-Engine von Captain of Industry Terraforming - und das ist ein elementarer Spielbestandteil. So ist ebener Baugrund ein wertvolles Gut, insbesondere für größere Gebäude wie beispielsweise Farmen. Durch den Tagebau entstehen unschöne und bisweilen tiefe Löcher, die sich beispielsweise mit Schlacke oder auf Kosten der Zufriedenheit mit Müll auffüllen lassen. Das Terraforming-System erlaubt die Landgewinnung, welche in Ermangelung von lokalen Schiffsverbindungen für die Erschließung weiterer Inseln auch nötig ist. Da das Terraforming und damit auch der Abbau von Erzen oder Sand immer mit Baggern und LKWs und nicht etwa mit Schaufelradbaggern erfolgt, nimmt dieser so einige Zeit in Anspruch.
Von LKWs und Nebenprodukten
Transportiert werden können Produkte nicht ausschließlich über Förderbänder, dementsprechend lassen sich Fabriken auch auf die grüne Wiese stellen - wirklich produktiv ist dies aber nicht, die Anbindung an ein stetig wachsendes und aus Förderbändern, Pipelines und auch Zügen bestehendes Logistiknetzwerk sehr anzuraten. Die Produktion selbst ist dabei deutlich komplexer als in Anno. Wir wollen an dieser Stelle nicht sagen, dass Captain of Industry eine realistische „Industriesimulation“ darstellt, allerdings sind die Produktionsketten sehr detailliert. So gibt es beispielsweise nicht nur verschiedene Möglichkeiten zur Rohölverarbeitung, stattdessen auch durchaus realistisch Nebenprodukte. Diese können oder sollten in vielen Fällen auch weiterverarbeitet werden. Da die Produktion von Nebenprodukten wie beispielsweise Naphtha nicht einfach deaktiviert werden kann, ist das Ausbalancieren der einzelnen Produktschritte, insbesondere im späteren Spielverlauf, alles andere als trivial. In vielen Fällen lassen sich unerwünschte oder im Überfluss vorhandene Nebenprodukte zwar beispielsweise abfackeln oder verkappen, allerdings sorgt das für Umweltverschmutzung und eine geringere Zufriedenheit und Gesundheit. Abwässer können gefiltert, CO₂ zu Graphit umgesetzt oder in geeignete Gesteinsschichten gepresst werden. Integriert sind Methoden zur Abgasreinigung ebenfalls.
Forschung: The sky is not the limit
Ein umfangreiches Forschungssystem schaltet nach und nach neue Produktionsketten und auch allgemeine Verbesserungen frei. Wird elektrische Energie anfangs aus Benzingeneratoren erzeugt, stehen später verschiedene Kraftwerke bereit, wobei diese Kraftwerke selbst keine eigenen Gebäude darstellen, sondern aus verschiedenen Bestandteilen bestehen. So wird durch Generatoren elektrische Energie aus Dampf erzeugt, der erforderliche Dampf kann etwa aus der Verbrennung von Holzschnitzeln, Kohle oder Wasserstoff entstehen - oder im weiteren Spielverlauf sogar aus der bei der Kernspaltung frei werdende Wärme. Gerade die Energieerzeugung bietet große spielerische Freiheit, auch wenn im Endgame die Stromerzeugung durch einen Brutreaktor besonders geeignet ist, große Mengen an elektrische Energie effizient und mit überschaubarem Ressourceneinsatz zu erzeugen. Die Nutzung von Solarenergie ist möglich, dabei sind Pufferspeicher sowohl mit thermischer Speicherung denkbar als auch die Speicherung als Wasserstoff.
Bis der erste Brutreaktor ans Netz geht, dürften aber dutzende Stunden ins Land ziehen, da dieser zur Erforschung eine funktionierende Raumstation mit Besatzung erfordert. Im absoluten Endgame lassen sich Asteroiden auf die eigene Inselwelt steuern, erst dann kann das eigene Archipel auch vollständig autark werden. So sind die eigenen Rohstoffvorräte, etwa für Kupfer- und Eisen-Erz beschränkt. Nachschub lässt sich auch durch Handelsverträge erhalten. Captain of Industry spielt nämlich in einer Inselwelt mit anderen Siedlungen, aufgegebenen Minen und Ölplattformen, wobei diese Orte teilweise erst durch Kämpfe in einem etwas aufgesetzten System mit dem eigenen, aufrüstbaren Schiff bestritten werden müssen. Relativ unkompliziert stellt sich das Bedürfnissystem der Bewohner dar: Wenn diese nicht verhungern oder von Krankheiten hingerafft werden, ist dies im Prinzip erst einmal ausreichend. Allerdings erzeugt nur eine zufriedene Bevölkerung sogenannten Unity, welcher zur Forschung und für Handelsverträge benötigt wird und zur Beschleunigung der Produktion eingesetzt werden kann, um akute Produktionsengpässe zumindest kurzfristig abzumildern.
Fazit und Technik
Insgesamt ist Captain of Industry eine faszinierende Simulation, die im Vergleich zu Anno bei den Produktionsketten deutlich komplexer ist und im Gegensatz zu Factorio auch Bewohner bietet. Spieler müssen sich aber auch über die Komplexität im Klaren sein, zudem gibt es in dem Spiel relativ harte Todesspiralen. Kommt es etwa zu einer tödlichen Grippewelle und bleiben viele Arbeitsplätze unbesetzt, kann beispielsweise die Versorgung mit für die Wartung von Fahrzeugen nötigen Eisen und dann sukzessive die ganze Produktion einbrechen. Vorbeugend können eine stringente Priorisierung der Arbeitsplätze und die Anlage ausreichender eiserner Reserven wirken. Immerhin: Der Schwierigkeitsgrad lässt sich jederzeit und detailliert einstellen. Blaupausen lassen sich nicht nur abspeichern, sondern auch von anderen Nutzern relativ komfortabel kopieren - von dieser Funktion haben wir regen Gebrauch gemacht.
Die Steuerung funktioniert über weite Strecken gut, da für die Montage von Förderbändern und Pipelines aber mehrere Etagen zur Verfügung stehen, ist diese nicht ganz trivial, die 3D-Grafik ist mindestens funktional und stellenweise sehr hübsch, auf unserem Testsystem mit einem AMD Ryzen 9 3900X und einer GeForce RTX 2080 Super ergaben sich im mittleren Einstellungen auch im späteren Spielverlauf gut spielbare Frameraten. Was Captain of Industry noch komplett fehlt, ist ein Logiksystem, mit welchem sich beispielsweise die Produktion einer Fabrik direkt stoppen ließe, wenn in einem entfernten Lager eine gewisse Lagermenge erreicht ist. Beispielsweise ein Bypass zur Abfackelung von überflüssigen Nebenprodukten der Erdölraffinerie lässt sich allerdings mithilfe von Pipe-Balancern etablieren. Captain of Industry befindet sich in aktiver Entwicklung, so kamen erst im Mai mit dem großem Update 3 neue Produktionsketten und beispielsweise Züge hinzu. Eine strikte Roadmap liegt nicht vor, wir würden das bei Steam sehr gut bewertete Spiel bereits im Early-Access und für den regulären Verkaufspreis von rund 34 Euro Fans komplexerer Aufbauspielen bereits jetzt empfehlen - wenn eine relativ steile Lernkurve und Mikro-Management nicht abschreckend wirken.





















