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Schleichendes Gift: Der langsame Tod von Open-Source beim 3D-Druck

Giftcocktail der Hersteller von 3D-Druckern (Bild erstellt mit Gemini)
Giftcocktail der Hersteller von 3D-Druckern (Bild erstellt mit Gemini)
3D-Druck sollte ein Synonym für Freiheit und Innovation sein. Doch seit Längerem ersetzen Hersteller offene Standards durch proprietäre Teile, sperren den Zugang zur Firmware und zwingen Nutzer in eigene Ökosysteme. Was als Benutzerfreundlichkeit verkauft wird, ist in Wahrheit ein Verlust von Kontrolle.
Kommentar-Artikel geben ausschließlich die individuelle Meinung des/der angeführten Autors/Autorin wieder.

Es gab eine Zeit, da war die Welt des 3D-Drucks ein offenes Paradies für Bastler und Tüftler. Angetrieben von der RepRap-Bewegung waren Drucker nicht nur Werkzeuge, sondern auch modulare Baukästen. Düsen, Heizbetten, Laufrollen – fast alles war standardisiert, austauschbar und leicht verfügbar. Diese Ära der Offenheit weicht zunehmend einem besorgniserregenden Trend: dem der geschlossenen Ökosysteme. Der kürzlich getestete Anycubic Kobra 3 V2 hat mich ein weiteres Mal deutlich auf das Thema aufmerksam gemacht. Die Eigenbrötlerei der 3D-Drucker-Hersteller wird zu einem Problem für Kunden. 

Das fängt bei der einfachsten Hardware an. Früher konnte man eine PEI-beschichtete Federstahlplatte kaufen und sie auf fast jedem Drucker mit der passenden Fläche nutzen. Heute hat gefühlt jeder Hersteller sein eigenes Format. Selbst bei gleicher Druckfläche sind bestimmte Einkerbungen der Platten oft so unterschiedlich, dass sie nicht mit anderen Druckern kompatibel sind – teils nicht einmal zwischen Modellen desselben Herstellers. Die Druckplatte vom Kobra S1 am Kobra 3 V2 nutzen – Geht nicht! Einfach mal ein Kabel austauschen ist auch kaum möglich, da Standards über den Haufen geworfen werden und so proprietäre Kabel entstehen. 

Auch bei den Düsen etablieren viele Marken eigene, proprietäre Standards. Drucker wie der Qidi Plus4 oder Elegoo Centauri Carbon nutzen spezielle Düsen, die mit keinem anderen System kompatibel sind. Für den Kunden bedeutet das: eine erzwungene Abhängigkeit vom Hersteller und das Ende der freien Ersatzteilwahl. Kaum ein Hersteller wird sich hier die Mühe machen, spezielle Düsen herzustellen. Ich selbst bin etwa recht überzeugt von Düsen mit Rubinspitze. Die halten einfach ewig und liefern mit fast allen Filamenten hervorragende Ergebnisse. So etwas für Elegoo Centauri Carbon oder Qidi Plus4 zu finden ist aber eigentlich unmöglich. Hinzu kommt noch, dass Elegoo bisher nicht einmal einzelne Düsen für die Carbon-Drucker anbietet. Hier muss bisher bei verschlissener Düse gleich ein komplettes Hotend gekauft werden.

Das heißt auch: Händler und Hersteller müssen mehr Lagerplätze für unterschiedliche Hardwarekomponenten bereitstellen. Die Lagerkosten steigen und werden an die Kunden weitergegeben. Für manch älteren 3D-Drucker wird es sich so schnell nicht mehr lohnen, Ersatzteile vorrätig zu haben.

Ebenso schreitet eine negative Entwicklung bei der Firmware voran. Nahezu alle modernen, schnellen Drucker basieren auf der quelloffenen Firmwareware Klipper, manche auch auf Marlin. Doch statt den Geist von Open Source zu ehren, verriegeln die Hersteller den Zugang und sorgen für Unmut bei den Entwicklern von Klipper. Der modifizierte Quellcode wird entgegen den Lizenzbestimmungen (GPL) oft nicht veröffentlicht. Das wirft nicht nur rechtliche Fragen auf, sondern schafft ein Sicherheitsproblem. Ein Drucker mit Klipper ist im Grunde ein kleiner Linux-Computer, der regelmäßig Sicherheitsupdates benötigt. Ohne Systemzugriff ist das für den Nutzer unmöglich. Gleichzeitig verlangen die Geräte für ihren vollen Funktionsumfang eine ständige Netzwerk- und Internetverbindung – wie die KI-Spaghetti-Erkennung des Kobra 3, die im reinen LAN-Modus nicht funktioniert. SSH-Verbindungen sind gesperrt, und noch wichtiger: Für Kunden ist es hier schlicht und einfach nicht möglich zu erkennen, ob das verwendete Linux alle Sicherheitsupdates hat. Doch auch bei der Konfiguration der Drucker haben Kunden damit kaum Zugriff. Dabei wäre es gut, wenn man sich selbst davon überzeugen könnte, ob bestimmte Sicherheitsmechanismen in der Firmware aktiviert sind. Natürlich wirft das Ganze auch andere rechtliche Fragen auf. So wäre es für unbedachte Nutzer möglich, etwa den Temperaturschutz komplett auszuhebeln. Im schlimmsten Fall heizen selbst modernste 3D-Drucker dann so lange weiter, bis es zu einem Brand kommt. Hier stellt sich für Hersteller somit die Frage, wie viel Eigenverantwortung sie ihren Kunden überlassen können. 

Zu guter Letzt wären da auch noch die Slicer, also die Programme, mit denen man eine 3D-Datei in ein für den Drucker verständliches Format umwandelt. Wir haben nachgezählt. Aus unseren letzten Tests haben wir mit Anycubic Slicer, Anycubic Slicer Next, FlsunSlicer, Qidi Studio, Elegoo Slicer, VoxelMaker, Ultimaker Cura und anderen mehr als 10 Slicer auf dem Rechner angesammelt. Programme wie der Anycubic Slicer Next oder FlsunSlicer sind meist Klone des hervorragenden Open-Source-Projekts OrcaSlicer. Anstatt ihre Entwicklungszeit in die Verbesserung der Open-Source-Basis zu investieren, von der alle profitieren würden, stecken die Hersteller Ressourcen in die Pflege dieser eher nutzlosen Forks. Sie hinken der Entwicklung oft Monate hinterher, bieten kaum Mehrwert und sind dennoch manchmal zwingend erforderlich, um die Drucker überhaupt ansprechen zu können. Das schwarze Schaf ist hier Anycubic. Ohne den Anycubic Slicer Next bekommt man keine G-Codes über das Netzwerk zu den neuen 3D-Druckern des Herstellers. Auch eine Weboberfläche bieten Kobra 3 und Kobra S1 nicht. Es geht nur über die Programme des Herstellers oder die Cloud-Funktionen. Dabei fehlen dem Anycubic Slicer Next einfach mal ein Jahr an Funktionsupdates, denn der basiert auf OrcaSlicer 2.1.1 aus dem Juni 2024. Ein GitHub-Eintrag zum Slicer Next gibt es nicht.

Das Ganze macht es äußerst schwierig, moderne 3D-Drucker zu warten und zu reparieren, sollte mal etwas nicht so funktionieren wie angedacht. Selbst bei kleinsten Problemen hilft oft nur noch der langwierige Austausch mit dem Support der Hersteller. Auch wenn Firmen wie Anycubic und Elegoo hier wirklich schnell antworten und Lösungen präsentieren, könnten manche Schritte zum Finden von Fehlern deutlich einfacher laufen. Aber Anycubic sperrt selbst die System-Logs der neueren 3D-Drucker, womit Kunden keine Chance mehr haben, ihre Geräte genau unter die Lupe zu nehmen. 

Die aktuelle Entwicklung auf dem 3D-Drucker-Markt erinnert etwas an ein klassisches Gefangenendilemma. Jeder Hersteller, der für sich allein handelt, mag es für rational halten, Kunden durch proprietäre Systeme an sich zu binden. In der Summe führt dieses Verhalten jedoch zu einem schlechteren Ergebnis für alle Beteiligten. Es entsteht eine Art "Race to the Bottom", ein Abwärtswettlauf, bei dem nicht Innovation und Offenheit belohnt werden, sondern die effektivste Abschottung, die der Kunde gerade noch so hinnimmt. Dabei würde eine Kooperation womöglich für alle ein besseres Ergebnis liefern.  

Dieser Drang, ein geschlossenes Ökosystem zu erzwingen, untergräbt die Prinzipien der RepRap-Bewegung, die diese Technologie erst groß gemacht hat. Am Ende schadet diese kurzsichtige Gier nicht nur den Anwendern, sondern auch den Herstellern selbst, indem sie das Vertrauen der Community verspielen und den Fortschritt der gesamten Branche hemmen.

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Autor: Marc Herter,  8.07.2025 (Update:  8.07.2025)