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580 Euro für ein Bahnticket? Wie ein Tweet die Deutsche Bahn in schlechtem Licht dastehen lässt

Von Leipzig nach Köln für 580 Euro alleinreisend? Das ist nicht möglich. (Foto: Deutsche Bahn AG / Max Lautenschläger)
Von Leipzig nach Köln für 580 Euro alleinreisend? Das ist nicht möglich. (Foto: Deutsche Bahn AG / Max Lautenschläger)
In der Diskussion, welches Verkehrsmittel wie teuer ist, wird gerne mit kurzfristigen Preisen argumentiert. Ein Tweet informierte annähernd 270.000 Personen über angeblich 580 Euro teure Bahnfahrkarten. Ein Musterbeispiel, warum man in Social Media aufpassen muss und Einzelbeispiele kritisch zu betrachten sind – insbesondere wenn sie falsch sind.

Die Bahnbubble in Twitter wurde über das Wochenende aufgeschreckt. Behauptete @bckrmx in einem Tweet doch, dass er für eine 1.-Klasse-Fahrkarte der Bahn zwischen Leipzig und Köln stolze 580 Euro (Archivlink vom 17. Juni) hätte zahlen müssen.

Hintergrund laut seinen Angaben: Die 2. Klasse ist ausgebucht, sodass eine Reise in der 1. Klasse zum Flexpreis notwendig wurde, wie er in einem zweiten Tweet bekräftigte. Mit diesen Angaben hatte er großen Erfolg über das Wochenende. Doch stimmen die Angaben? Realistisch betrachtet: Nein, auch wenn die Preisanzeige durchaus korrekt sein könnte. Aber betrachten wir zunächst den Effekt des Tweets: 

Zum Redaktionsschluss dieser Meldung hatte der Tweet über 270.000 Views. Der Effekt: Zahlreiche Personen wurden zumindest aus dem Augenwinkel beim Durchscrollen darüber informiert, dass die 1. Klasse 580 Euro kostet. Der zweite Tweet von Becker erreichte nochmals 26.000 Views. Daraus lässt sich eine recht hohe Anzahl an Interessenten schließen, die sich den Tweet noch einmal genauer angeschaut hat. Die These basierend auf dem Preis für eine einzelne Person: "Der Umstieg auf die Bahn wird einem in Deutschland echt leicht gemacht."

Bei genauerem Hinschauen auf Tweets, Retweets und Likes rund um den Urtweet war eine gewisse Empörung erkennbar – und zwar auf beiden Seiten. Die Bahnbubble auf der einen Seite, die sich – vorsichtig formuliert – über den viel zu hohen Preis wunderte und dass der Tweet so viele Menschen erreichte. Und auf der anderen Seite diejenigen, die die Bahn zu teuer finden und sich mit dem Tweet bestätigt sahen.

Zwar lässt sich nicht abschätzen, wie viele Personen den Aussagen im Tweet glaubten, doch wenige dürften es nicht sein und zugleich wurde eine legitime Diskussion rund um Bahnpreise vergiftet. Aufgrund des Algorithmus, der Twitter-Blue-Nutzer bei der Antwortanzeige bevorzugt, fiel es Twitter-Nutzern der Bahnbubble auch schwer, die falschen Angaben zu korrigieren. Sie müssten dafür bezahlen, um besser gesehen zu werden. Das zeigte sich deutlich unterhalb des Tweets.

Zu viele Reisende in der App? 

Doch wer den Tweet nur aus dem Augenwinkel ohne weitere Kontrollrecherchen gesehen hat, der wurde schlicht falsch informiert. Auf Nachfrage sagte die Deutsche Bahn, dass die Preisanzeige durchaus möglich ist, doch hatte er vermutlich "zwei Reisende in der Voreinstellung hinterlegt", da die Strecke der Preisstufe mit 290,10 Euro entspricht und damit exakt die Hälfte.

Das deckt sich auch mit Preisrecherchen von Notebookcheck.com, die je nach Preismodell (Flexpreis/Flexpreis Plus) mal unter und mal über 300 Euro liegen. Den tatsächlichen Wert müssen wir allerdings schuldig bleiben. Unterschiede ergeben sich teils durch die Zugkategorie und das Routing. Nachtzüge sind hier explizit ausgeschlossen, hier gelten noch weitere Zuschlagsregeln. Ein Preis über 500 Euro ist für einen Alleinreisenden aber ohne massive Umwegfahrten nicht möglich. Nicht mal im nochmals teureren Geschäftskunden-Tarif, der für Normalsterbliche in der Regel nicht buchbar ist.

Zudem sind Bahnpreise eigentlich national gedeckelt. Man kann einen gewissen Preis nicht innerhalb von Deutschland mit der Deutschen Bahn überschreiten. Leider antwortete die Deutsche Bahn nicht auf die Frage, wo derzeit der Preisdeckel, auch bekannt als Preisobergrenze, liegt. Die historischen Preisobergrenzen finden sich in der deutschen Wikipedia. 

Der aktuelle Wert muss irgendwo leicht über 300 Euro für einen Flexpreis liegen. Eine Preisobergrenze mit einem Intercity konnten wir bei 282,10 Euro ausmachen, da Sylt -> Freiburg/Breisgau und Sylt -> Basel Bad, ein deutscher Bahnhof auf Schweizer Territorium, den gleichen Preis kosten. Die Preise sind zudem nicht an den Kilometern gebunden. Die Fahrt von Leipzig nach Basel Bad ist etwa günstiger als von Leipzig nach Köln. Das Preissystem ist komplex. Auch das macht pauschale Aussagen zu leichtem oder nicht leichtem Umstieg schwierig, da bestimmte Strecken per se sehr teuer sind, andere hingegen nicht.

Die Preisbildung der Bahn ist komplex und braucht viel Wissen

Der Tweet missachtet aber auch einige weitere Bahnbegebenheiten, die man für eine korrekte Beurteilung kennen muss. So ist es mitnichten notwendig, in der 1. Klasse zu fahren, wenn die 2. Klasse ausgebucht ist. Ein Flexpreis-Ticket gilt immer und kostet in der 2. Klasse etwa 135 Euro. Insbesondere Statuskundschaft findet meist noch einen Platz in einem "ausgebuchten" Zug. Der DB Navigator vereitelt zwar den Kauf teilweise, doch dann wählt man einfach eine Morgenverbindung. Der Flexpreis gilt explizit in jedem Zug innerhalb der Gültigkeit, selbst wenn der nicht mehr verkauft wird. 

Nach Erfahrungen von Notebookcheck.com passiert es zudem oft, dass Züge, die nicht mehr verkauft werden, häufig noch sehr viele Plätze frei haben. Zuletzt erlebte das Notebookcheck vor einem Streik. Da verkaufte die Bahn vorsichtshalber gar keine Tickets mehr, um die Auslastung zu steuern. Als Folge waren im betroffenen Zug noch zahlreiche Plätze vorhanden.

Hier arbeitet das Yield-Management der Deutschen Bahn nicht optimal und Echtzeitauslastungsdaten gibt es ohnehin nicht. Freilich ist an einem Freitag das Risiko größer, nur einen Stehplatz abzubekommen und schlimmstenfalls gar nicht mehr in den Zug zu kommen. Ein allgemeines Risiko, das aber auch Busse, Flugzeuge und Mietwagen betrifft.

Da die im Tweet genannten Zugläufe in Leipzig beginnen, reicht es in der Regel frühzeitig bei der Bereitstellung am Bahnhof zu sein. Das ist zwar keine Garantie, aber funktioniert sehr oft, wenn man wirklich diesen einen Zug nehmen will. Als Fahrgast muss man dafür aber einiges an Reiseerfahrung haben. Der Mangel an (Echtzeit-)Informationen durch die Deutsche Bahn kann so ausgeglichen werden, ist aber gerade für gelegentlich fahrende Gäste eine große Hürde.

Wer zudem bereit ist, einen Flexpreis zu zahlen, der kann eigentlich auch eine Probe-Bahncard abschließen, um die Kosten zu senken. Die ist laut Deutsche Bahn sofort gültig. Ärgerlich: Auch das erfordert etwas Wissen, das nicht alle haben.

Nimmt man also den realistischen Preis für eine kurzfristige Buchung als Grundlage, dann lässt sich durchaus feststellen, dass dieser hoch ist. Aber nicht so hoch, dass er den Umstieg per se verhindert. Zumal eine Freitags-Situation für alle Verkehrsträger schwierig ist. Ein kurzfristiges Flugticket nach Köln an einem Freitag in der Business Class kostet jedenfalls mehr als die Bahnfahrkarte. Selbst ein Economy-Ticket ist mitunter teurer als die 1. Klasse in der Deutschen Bahn.

Luftverkehr ist im Schnitt teurer als Bahnverkehr 

Im Flugverkehr bewegen sich Preise gerne in sehr unerschwingliche Regionen. Es ist ein Verkehrsmittel, mit welchem an kurzfristigen Buchungen sehr gut verdient wird. Insbesondere im geschäftlichen Verkehr lohnt es sich und bleibt auch dann hochpreisig, wenn die Bahn sehr günstig ist. Die Flugverbindung Stuttgart - Hamburg ist ein Beispiel dafür, die montags und freitags sowie am Morgen mit sehr hohen Preisen auffällt.

Aber auch hier ist eine einfache Einzelfallbetrachtung unangemessen, die ebenfalls oft in Social Media zu sehen ist. In der Luftfahrt wird der Preis sehr stark von der Nachfrage aber auch rechtlichen Gegebenheiten und Risiken kontrolliert. Ein Beispiel: Oneway-Flüge sind insbesondere aus der EU heraus oft teurer als ein gebuchter Hin- und Zurück-Flug. Dazu kommen andere Kalkulationsgrundlagen.

Ein Full Service Carrier, auch Netzwerkairline genannt (etwa Austrian, KLM, British Airways), hat prinzipbedingt andere Preise als eine Billigfluggesellschaft (Easyjet, Ryanair, Wizz Air). Trotzdem sind beide oft effektiv ähnlich teuer. Gerade Billigfluggesellschaften verdienen viel an den sogenannten Ancillary Revenue, der etwa Kosten für Sitzplätze, schnelles Boarding, Ausdrucke am Flughafen oder auch Gepäck beinhaltet. Der Sitzplatz wird dabei fast zum Nebengeschäft. 

In der Regel ist der Flug teurer als die Bahn (PDF). Innerdeutsch liegt das auch an dem Fehlen von Air Berlin und der Aufgabe von Easyjet.

All diese hier im Artikel genannten Informationen lassen sich freilich nicht in einem Tweet verpacken, der dann viele Aufrufe bekommt. Das gibt das Medium Twitter nicht her. 

Quelle(n)

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Autor: Andreas Sebayang, 19.06.2023 (Update: 20.06.2023)