Deutschland hat einen neuen Hochgeschwindigkeitszug. Mit dem ICE 1548 (Vagonweb.cz-Zugbildung) fuhr der von Talgo produzierte Zug erstmals regulär mit Fahrgästen von Berlin in Richtung Köln. Allerdings nicht so, wie es die Deutsche Bahn im Werbematerial angibt. Denn gezogen wurde der Zug nicht von einer Lok der Deutschen Bahn. Stattdessen musste eine Lok eingesetzt werden, die eigentlich für die tschechische České Dráhy eingesetzt wird – inklusive ČD-Logo, was wir über mehrere Videos in Social Media verifizieren konnten.
Die Lok selbst stammt von einem Leasinggeber Rolling Stock Lease (RAILL, 193 981). Das ist an sich nicht unerwartet. Die Deutsche Bahn muss ohnehin auf geleaste Loks zurückgreifen, da die eigentlich vorgesehene Lok der Baureihe 105 von Talgo noch nicht für den Betrieb in Deutschland zugelassen ist. Daher werden vor den Zug Siemens-Vectron-Loks gespannt. Eigentlich hat die DB dafür aber extra weiß lackierte Loks von ELL in einer speziellen ICE-Lackierung im Einsatz, die auch schon in Testfahrten den ICE L gezogen haben.
Mehr als 200 km/h sind erst einmal nicht möglich
Das Problem: Die weißen ELL-Loks sind laut Anbieter für maximal 200 km/h zugelassen und ELL hat nur zwei Loks dieser Geschwindigkeitsklasse in seinem Vectron-Portfolio, die so schnell sind. Alle anderen Vectrons schaffen nur 160 km/h. Prinzipiell kann die Vectron bei Siemens Mobility auch mit 230 km/h bestellt werden. Für flexibel einsetzbare Loks ist das aber sehr ungewöhnlich. Sie finden sich daher eher bei Bestellungen mit entsprechenden Waggons wie dem Railjet 2 oder dem Nightjet der neuen Generation.
Wie schnell die RAILL-Lok 193 981 fahren darf, haben wir nicht herausfinden können. Wir gehen davon aus, dass diese ebenfalls mit 200 km/h fahren kann und eine MS A01 von Rolling Stock Lease ist. Dieses Limit wird bis auf Weiteres gelten, auch wenn die Deutsche Bahn offiziell im Marketing eine Geschwindigkeit "bis zu" 230 km/h angibt.
Das Problem mit den Loks ist der Deutschen Bahn zudem offenbar unangenehm. Detailfragen zur Geschwindigkeit beantwortet die Deutsche Bahn nur ausweichend oder reagiert nicht. Ende Oktober hieß es gegenüber dem Autor bei einer Anfrage seitens eines Deutsche-Bahn-Sprechers: "Der ICE L Wagenverband ist für 230 km/h zugelassen. Die E-Vectron ist mit verschiedenen Höchstgeschwindigkeiten verfügbar."
Dazu kommt, dass der Steuerwagen noch nicht steuern darf (Bild der Baureihe 193 mit ČD-Logo vor dem Steuerwagen). Für die Rückfahrt muss die Lok also umgesetzt werden oder der Zug eine kurze Rundfahrt machen, sofern das gleistechnisch möglich ist. Seitens der Deutschen Bahn werden die aktuellen Probleme nicht transparent kommuniziert.
Immerhin bestätigte die Deutsche Bahn noch, dass die Dual-Vectrons, Elektrolokomotiven mit Dieselmotor und Stromabnehmer, mit einer Geschwindigkeit von 160 km/h fahren werden. Das war von Anfang an so vorgesehen, ist aber nochmal langsamer als der dieselbetriebene ICE TD, der nur noch als Versuchslabor unterwegs ist und 200 km/h erreichen kann.
Schlechte Nachrichten gibt es zudem für den internationalen Einsatz in Richtung der Niederlande. Zwar strebt die Deutsche Bahn eine Zulassung für die Niederlande an. Doch selbst mit Zulassung ist der Zug für viele Strecken zu schwer. Details hatte die Deutsche Bahn eigentlich für den Oktober in Aussicht gestellt. Das Thema Niederlande verschwand dann aber von der kommunikativen Agenda. Fragen dazu blieben also unbeantwortet. Im Oktober hieß es dazu nur, dass sich der ICE L "aktuell im Zulassungsprozess für Österreich und die Niederlande" befindet, so ein Sprecher.
Hintergrund ist, dass die Achslast der von der Deutschen Bahn bestellten Waggons zu hoch für viele Strecken der Niederlande ist. Dabei wurde der ICE L explizit für den Einsatz als ECx für die Strecke zwischen Berlin und Amsterdam bestellt. Dort sollte der Zug als erstes fahren.
Wobei der ICE L genau genommen mit Einzelradaufhängungen arbeitet. Doch die beiden Räder müssen laut Zulassungsinformationen bei einigen Waggons über 20 Tonnen verkraften. Zu viel für den niederländischen Boden, auch wenn die Vectrons, die ebenfalls eine Achslast über 20 Tonnen haben, in den Niederlanden fahren dürfen.
Jon Worth, der sich mit grenzüberschreitendem Verkehr im Detail beschäftigt, beschrieb das Problem schon 2021: Die Vectrons müssen in den Niederlanden mit deutlich reduzierten Geschwindigkeiten fahren. Zusätzlich sind Quoten zu beachten. Ein ICE-L mit einer Vectron würde noch einige Achsen zusätzlich bedeuten, die über 20 Tonnen liegen.
Ist der Talgo 230 zu schwer? Flixtrain gibt die Niederlande auf
Einen Hinweis, dass die Probleme nachhaltiger sind, lieferte nun ausgerechnet der DB-Konkurrent Flixtrain. Flixtrain setzt ebenfalls auf die Talgo-230-Plattform, plant aber ab 2028 nicht mit Loks von Talgo, sondern gleich mit Siemens Vectron. Es ist wohl davon auszugehen, dass eine Gesamtzulassung von 230 km/h angestrebt wird.
Die Flixtrain-Talgos sollen jetzt aber nur noch in Deutschland eingesetzt werden. Pläne, die neuen Garnituren in den Niederlanden einzusetzen, sind damit Geschichte. Noch im Oktober 2025 hieß es seitens Flixtrain, es gäbe Pläne für die Niederlande.
Der Start der Talgo-230-Plattform in Deutschland ist also mit Verspätungen und Schwierigkeiten verbunden. Die Bahn bemüht sich daher eher die Vorteile in den Vordergrund zu schieben. Die hat der neue Zug zweifelsohne. Eine davon ist die Barrierefreiheit, durch den tiefen Boden. Koffer müssen keine Stufe mehr hochgetragen werden. Die Einzelradaufhängung erlaubt einen tiefen Wagenkasten ohne Rampen (Ausnahme: Endwagen). Dementsprechend heißt es auf der ICE-L-Webseite: "Der stufenlose Einstieg setzt neue Maßstäbe bei der Barrierefreiheit."
Doch selbst hier gibt es ein "Aber". Denn zwischen Waggon und Bahnsteigkante gibt es mehreren Berichten aus sozialen Medien zufolge einen großen Spalt. Nur der PRM-Waggon für Rollstühle hat eine ausfahrbare Spaltüberbrückung. So eine Spaltüberbrückung ist mittlerweile selbst bei Regionalzügen häufig anzutreffen. Ältere Fahrgäste müssen den Koffer also auch bei diesem Zug über eine Spalte hieven. Das ist natürlich trotzdem noch einfacher, als der Zustieg in einem regulären ICE 1, 2, 3, 4 oder T. Maßstäbe setzt man damit jedoch nicht, wenn nur ein Waggon mit einer Spaltüberbrückung ausgestattet wird.
Ein weiterer großer Vorteil ist die Einsatzflexibilität. Da die Lok kein fester Bestandteil des Zugverbands ist, kann diese beispielsweise an der Grenze ausgetauscht werden. So kann der Zug in andere Länder weiterfahren.
Letztendlich ist es aktuell allerdings schwer, den ICE L als ICE einzustufen. Ursprünglich war er ohnehin nicht als Zug dieser höheren Preisstufe vorgesehen. Als ECx hätte er nur Intercity- und Eurocity-Garnituren ablösen sollen. Mit 230 km/h wäre er aber immerhin schneller als ein typischer Intercity. Sobald also die Talgo-Lokomotiven zugelassen sind, fährt der Zug immerhin auf dem Niveau eines ICE T. Zumal der typische Intercity 2 heutzutage ohnehin nur noch 160 km/h fährt. Schnelle ICs und ECs werden immer seltener.
Quelle(n)
Eigene Recherchen












