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Verkehrsminister will mit digitalem Deutschlandticket Verkehrsströme zählen, obwohl das technisch nicht geht

Dieses Deutschlandticket soll bei der Zählung von Fahrgastströmen helfen. (Foto: Andreas Sebayang/Notebookcheck.com)
Dieses Deutschlandticket soll bei der Zählung von Fahrgastströmen helfen. (Foto: Andreas Sebayang/Notebookcheck.com)
Der deutsche Bundesverkehrsminister sieht Papierfahrscheine als Bremse der Gesellschaft. Mit einem digitalen Deutschlandticket sollen Fahrgäste hingegen dabei helfen, bessere Daten für Angebote zu erfassen. Doch das geht mit dem Deutschlandticket gar nicht.

Die Bevölkerung Deutschlands soll beim Messen der tatsächlichen Nutzung von Bussen und Bahnen helfen, so der Aufruf des Bundesverkehrsministers Volker Wissing. Wissing sagt dazu: "Wir stoßen beim ÖPNV an Grenzen: An der einen Stelle fahren Busse zu wenig, an der anderen Stelle fahren sie leer durch die Gegend. Weil uns Informationen fehlen. Mit Papiertickets werden wir diese niemals bekommen. Wo Kosten steigen und Effizienz besser werden muss, ist es wichtig, dass wir Daten generieren".

Dafür sollen Fahrgäste auf das digitale Deutschlandticket setzen. Nur "Durch die Nutzung des digitalen Deutschlandtickets" wäre es möglich, diese Daten zu erheben und jedes digitale Deutschlandticket soll dazu einen Beitrag leisten, heißt es aus dem Verkehrsministerium, das sich zugleich um Digitales in Deutschland kümmert. Doch bei einem genauen Blick auf das Deutschlandticket zeigt sich schnell, dass es auch in der digitalen Variante nicht für eine Zählung konzipiert oder geeignet ist.

Die für eine Zählung notwendigen Voraussetzungen bestehen rund um die Deutschlandticket-Infrastruktur nämlich gar nicht. Für die Nutzung von U-Bahnen (Berlin, Hamburg, München, Nürnberg) oder Stadtbahnen (Köln, Düsseldorf und weitere) braucht es beispielsweise kein Vorzeigen des Fahrscheins. Das gilt üblicherweise auch für den Regional- und S-Bahnverkehr. Auslastungsdaten mit dem Deutschlandticket zu erreichen, das es digital als Chipkarte und Handyticket gibt, wäre also nicht möglich. Aus einer Zählperspektive ist es mit dem Papierticket gleichgestellt.

Prinzipiell könnte man zwar über manuelle Ticketkontrollen Fahrgäste erfassen, doch diese geschehen zu selten und sind je nach Verkehrsbetrieb auch stark von der Tageszeit abhängig. Statistisch ist die Verfälschung der Daten ein Risiko. Zudem wäre bei einer manuellen Kontrolle auch die Erfassung von Papierfahrscheinen möglich, die typischerweise aber nur per Sichtkontrolle geprüft werden. Technisch gesehen könnte aber auch ein QR-Code auf Fahrschienen, oder wie bei der Deutschen Bahn ein Aztec-Code, leicht digital erfasst werden.

Es fehlen dann aber noch essentielle Daten: wann ist der Fahrgast eingestiegen und wann wird er aussteigen? Diese Daten werden bei einer Kontrolle nicht erhoben. Solche Erfassungen gibt es durchaus. Das ist eine typische Aufgabe von Fahrgastumfragen. Vor allem die Deutsche Bahn arbeitet mit solchen Umfragen in Zügen.

Auslastungsdaten von Mobilfunknetzbetreibern dürften hier aussagekräftiger sein. So ließen sich etwa die Anzahl der eingebuchten Fahrgäste in eine Zelle zumindest bei Untergrundsystemen messen. Aber selbst oberirdisch kann über Mobilfunkdaten eine Verlagerung des Verkehrs erkannt werden. Alternativ gibt es Zählzugsysteme, die Ein- und Ausstiege zählen. Besonders volle Segmente einer Fahrt können so erkannt werden. Die S-Bahn Hamburg hat etwa 29 Zählzüge.

Busse eignen sich bedingt zum Zählen

Bei Bussen ist eine Zählung prinzipiell besser umsetzbar, auch wenn es hier natürlich ebenfalls Busse mit Zählausrüstung gibt. Aber hier eignet sich eben auch die Ticketkontrolle zum Zählen.

In der Praxis wird dies aber nicht immer so gehandhabt oder es gibt Kompatibilitätsprobleme. So können beispielsweise die E-Ticket-Deutschland-Kartenleser in Berliner Bussen keine Deutschlandtickets auf Smartphones (Handytickets) auslesen. Sie verstehen nur Tickets, die dem E-Ticket-Deutschland-Chipsystem entsprechen. Deutschlandtickets, die es als Chipkarte und Handyticket gibt, lassen sich also nur teilweise auslesen. Ein mit Zählern ausgestatteter Bus, den man auf verschiedenen Linien einsetzen kann, wäre präziser.

In der Praxis werden die Lesegeräte in Berlin, immerhin Deutschlands größte Stadt, aber ohnehin nicht genutzt und sind damit für Zählungen selbst von den digitalen Chipkarten gänzlich ungeeignet. Jahrelange technische Probleme sorgten dafür, dass Fahrgäste und Buspersonal die Nutzung aufgegeben haben. De facto wird heute gar nicht mehr beim Buseinstieg kontrolliert. Vor der Pandemie wurden die Chipkarten ab und an immerhin noch auf Sicht kontrolliert, auch wenn man einer Chipkarte ihre Gültigkeit nicht ansehen kann.

Nichtsdestotrotz wäre eine Zählung der Fahrgäste so prinzipiell sehr präzise möglich, aber mit Einschränkungen. Da konzeptionell die Tarifsysteme in Deutschland oft Check-In-Systeme sind, wissen die Verkehrsbetriebe nicht, wann die Fahrgäste aussteigen. Das gilt auch für ein digitales Deutschlandticket.

Auslastungsdaten existieren also auch hier nur eingeschränkt. So lässt sich dann etwa herausfinden, welche Busstationen besonders stark genutzt werden. Über Pendler-Mechanismen lässt sich vermutlich indirekt eine Auslastung erkennen, falls die Fahrgäste dieselbe Route zurücknehmen. Die Daten werden aber schon verfälscht, wenn eine Linie nicht immer fährt und sich Fahrgäste am Abend etwa einen anderen Weg suchen.

Es gibt aber durchaus zählfähige Systeme in Deutschland. Das Bodo eCard-System am Bodensee ist eines der wenigen E-Ticket-Deutschland-Systeme mit Chipkarte, welches als Check-In/Check-Out-System konzipiert ist.

Deutschlandticket braucht teilweise kein Check-In

Am Beispiel der Bodo eCard zeigt sich allerdings ein weiteres Problem. Wer ein (digitales) Deutschlandticket per eCard Pro hat, der muss sich im Unterschied zu dem Einzelfahrscheinsystem der eCard bei Bussen nur einchecken, aber nicht auschecken, wie es beim Bodo in den Hinweisen heißt. Beim Fahren mit der Bahn ist sogar weder Check-In noch Check-Out notwendig. Oder anders formuliert: Das Deutschlandticket bietet eine konzeptionell schlechtere Datengrundlage als andere Systeme – unabhängig von dem Status als digitale oder analoge Zeitkarte.

Das Deutschlandticket kann also prinzipbedingt die vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr erhofften Daten gar nicht liefern. Dafür bräuchte es eine durchgehende Check-In-/Check-Out-Infrastruktur, wie man sie von Städten wie London, Seoul, Taipei, Tõkyõ oder Hong Kong kennt.

Es gibt aber selbst dann Besonderheiten: In London oder Hong Kong gibt es in aller Regel bei Bus-Fahrten nur einen Check-In. Auslastungsdaten müssen also selbst bei diesen fortschrittlichen Systemen zumindest bei Busfahrten auf einem anderen Weg erfasst werden.

Update vom 7. Februar, 1:10 Uhr: Bei der Erfassung über das Deutschlandticket werden ausschließlich Fahrgäste mit dem Deutschlandticket erfasst. Andere Fahrscheintypen, darunter spontane Tickets, Touristentickets oder Schulverkehr, werden gegebenenfalls so nicht erfasst, was die Qualität der Daten zusätzlich mindert.

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Autor: Andreas Sebayang,  6.02.2024 (Update:  7.02.2024)