Vivo hat sich in diesem Jahr beeilt und das Vivo X300 Pro kurz nach dem China-Launch nach Europa gebracht. Ob man nun das Europa-Modell mit dem Makel des kleineren Akkus (hier bei Amazon erhältlich), ein importiertes globales Modell oder die günstigere China-Variante mit den typischen Einschränkungen wie fehlendem eSim-Support betrachtet: Vivo mausert sich mit seinem Zeiss-Kamera-Flaggschiff immer mehr vom Geheimtipp zur echten Alternative zum üblichen Samsung und Apple Einerlei, zumal nun auch die Software dank globalem OriginOS locker mit der Konkurrenz mithalten kann.
Teil 2: Die Vergleichskandidaten
Dies ist kein vollständiger Notebookcheck-Test, der allerdings ebenfalls bereits in Vorbereitung ist. Stattdessen geht es in diesem Bericht um meine Erfahrungen mit der Kamera im Rahmen einer Zypern-Reise auf Basis eines von Vivo zur Verfügung gestelltem Testgeräts inklusive Kamera-Griff und Zeiss-Teleconverter. Ebenfalls mit dabei waren mein aktueller Daily Driver, das Vivo X200 Ultra aus China, das globale Vivo X100 Pro sowie das Galaxy S23 Ultra, mein letztes Samsung-Handy, das noch mit echtem 10x Zoom bestückt war, allerdings auf Basis eines mit 1/3.52 Zoll vergleichsweise sehr kleinen Sensors. Im 2. Teil dieses Tests interessiert mich vor allem, wie stark sich das Vivo X300 Pro mit dem 2,35x Zeiss-Teleconverter und äquivalenter 200mm Brennweite vom 230mm Samsung-Telefoto absetzen kann und wie gut sich das neue Vivo-Flaggschiff im Vergleich zu den Vorgängern schlägt.
Die Vivo Kamera-Button Tragödie
Der für mich größte Kritikpunkt an den Vivo-Flaggschiffen der letzten Jahre ist die Inkonsistenz den Kamera-Button betreffend. Beim Vivo X100 Pro gibt es keinen, stattdessen kann man einen Doppelklick auf den Leiser-Button als Start-Shortcut für die Kamera konfigurieren, was allerdings bis zum aktuellen OriginOS 6 Update nur in gefühlt 50 Prozent der Fälle tatsächlich funktioniert. Ob man nun gerade Musik hört oder der Shortcut aus anderen oft völlig zufälligen Gründen nicht funktioniert - ich kann nicht oft genug betonen, wie viele Snapshots ich aufgrund der Probleme mit diesem Shortcut in den letzten Jahren versäumt habe. Der Doppelklick auf den On/Off-Button beim Galaxy S23 Ultra funktioniert dagegen bis heute höchst zuverlässig.
Probleme mit dem Shortcut-Button
Beim Vivo X300 Pro gibt es eine neue Option, aber leider nicht den dedizierten Kamera-Button des Vivo X200 Ultra an der von vorne gesehen rechten unteren Seite. Der ist bis dato die zuverlässigste und praktischste Art und Weise, die Kamera zu starten und auszulösen. Der Shortcut-Button des Vivo X300 Pro ist demgegenüber leider ein Rückschritt, denn er ist auf der falschen Seite. Man muss das Vivo X300 Pro im Querformat also um 180 Grad gedreht nutzen, wenn man ihn mit dem Zeigefinger der rechten Hand betätigen will.
Das ist nicht nur inkonsistent und unpraktisch im Vergleich mit den meisten anderen Smartphones, es hat auch den Nachteil, dass man damit oft unabsichtlich die Lauter/Leiser Wippe oder den Einschalter an der gegenüberliegenden Seite betätigt, entweder weil man diese mit dem Daumen der rechten Hand berührt oder weil das Vivo X300 Pro beim Fotografieren auf einem Geländer stabilisiert wird. Das löst dann manchmal unerwünschte Aktionen aus, etwa Shortcuts für den Lauter-Button, den Start von Gemini oder das Aufpoppen des Shutdown-Dialogs.
Inkonsistenz mit dem Kamera-Griff
Und noch ein Argument gegen den Shortcut-Button des Vivo X300 Pro als Shutter-Button an der linken Seite kann ich vorbringen. Wenn man den optionalen Kameragriff mit dem zweistufigen Kamera-Button nutzen will, muss man das Vivo X300 Pro wieder umdrehen - nicht sehr konsistent. Es gibt nur eine sinnvolle Lösung für ein als Kamera-Flaggschiff beworbenes Smartphone: Ein dedizierter Kamera-Button an der rechten unteren Seite, so wie bei Sony, Oppo, Apple und beim Vivo X200 Ultra. Dass Vivo beim X300 Pro im Gegensatz zum Oppo beim Find X9 Pro darauf verzichtet hat, ist meiner Meinung nach ein großes Manko wenn man das Handy primär im Querformat zum Fotografieren nutzen will.
Vorteile des Vivo-Telekonverters
Ich habe es schon bei meinem Kamera-Test des Oppo Find X9 Pro vor einigen Wochen betont: Vivo hat in Sachen Telekonverter aktuell das bessere Konzept, primär durch die Tatsache, dass das Objektiv-Bajonett immer aufgeschraubt bleiben kann. Keine der drei Kameras wird dadurch verdeckt, sodass der Einsatz des 2,35x Tele-Konverters viel schneller erfolgen kann. Ganz unproblematisch ist der Verschluss auch bei Vivo nicht, denn das Entfernen mit einer Hand (Drücken des Verschlusses und gleichzeitiges Drehen der Optik) gelingt nicht immer, manchmal hakt es dann ein wenig. Aber auch bei der Software ist Vivo Oppo einen Schritt voraus. Eine automatische Erkennung der Zeiss-Optik ist mangels einer elektronischen Verbindung zwar nicht drin, doch im Gegensatz zu Oppo muss man beim Vivo X300 Pro keinen separaten Modus mehr auswählen.
Sofern in den Einstellungen aktiviert, steht in fast allen Modi ein Telekonverter-Symbol zum schnellen Einschalten des Telekonverter-Modus zur Verfügung. Ein erneuter Tapser auf das Linsen-Symbol aktiviert wieder die Standard-Brennweiten. In Zukunft hoffe ich, dass Vivo (und Oppo) eine Markierung der mit Telekonverter erstellten Photos und Videos in der Album-App unterstützt. Aktuell muss man sich mit Tricks wie minimal unterschiedlichen Brennweiten behelfen, um Aufnahmen mit Optik von jenen ohne Telekonverter nachträglich im Photo-Album unterscheiden zu können. Wenn man ohnehin einen separaten Modus oder ein Symbol für den Telekonverter aktivieren muss, müsste die App das aber eigentlich auch jetzt tracken und entsprechend im Album anzeigen können.
Was bringt der Teleconverter?
In den folgenden Beispielen gibts jeweils Gegenüberstellungen mit und ohne Tele-Konverter, meist bei 200 oder 400mm Brennweiten. Mehr versuche ich zu vermeiden, da sonst primär die KI das Ergebnis diktiert. Schon bei 400mm ohne Optik sieht man, wie Details etwa bei den Katzenhaaren verschwinden und durch Überschärfen kompensiert wird. Sehr schön auch der natürliche Bokeh-Effekt beim optischen 200mm Shot, besonders klar sichtbar am Teppich auf dem die Katze liegt. Der Digital-Zoom des 85mm-Photos ist dagegen durchgängig scharf. Hier kann also ganz klar konstatiert werden: Im Bereich bis zu etwa 17x Zoom, wenig Bewegung im Bild und genügend Licht bringt der Teleconverter sehr viel an Natürlichkeit.
Bei Menschen - nicht unbedingt mein Lieblingsmotiv - ist der Unterschied bei Tageslicht auch deutlich sichtbar. Am Beispiel unten sind nicht nur im Gesicht der telefonierenden Person deutlich mehr Details erkennbar, auch die Hauswand im Hintergrund behält bei 400mm äquivalenter Brennweite nur mit dem Teleconverter ihre Struktur. Beim Armband sind die einzelnen Elemente hier noch andeutungsweise erkennbar, beim reinen Digital-Zoom nicht mehr.
Bei Dämmerung und stürmischem Wind sind die Vorteile des Teleconverters weniger eindeutig. Hier fällt primär mal der Magentatouch des Fotos ohne Zusatz-Optik auf, der konstant bei mehreren Aufnahmen zu sehen war, auch die krassen Unterschiede bei ISO und Verschlusszeit sind auffällig. Im Detail spielt die Optik ihre Vorteile zwar aus, wirklich detailreich und natürlich wirken aber beide Fotos in der Vergrößerung nicht, wobei hier widrige Umstände herrschten, da müsste man wohl mit stabiler Fixierung der Kamera arbeiten.
Bei noch mehr Dunkelheit habe ich überraschenderweise bessere Erfahrungen mit dem Vivo X300 Pro inklusive Telekonverter gemacht, wahrscheinlich weil ich das Objektiv da am Geländer des Lemesos Kastells in Limassol stabilisieren konnte, um die Katze zu fotografieren, die es sich da auf der antiken Säule gemütlich gemacht hat aber leider nicht in einer Position verharrte. Nichtdestotrotz ist der Unterschied mit und ohne Telekonverter wohl eindeutig. Ohne der optischen Verstärkung wirkt der Vierbeiner bei näherer Betrachtung wie eine Wachsfigur. Der höhere ISO-Wert deutet allerdings auch hier auf substantiellen Lichtverlust durch die zusätzlichen Linsen im Telekonverter.
Bei 60x Zoom hilft nix mehr
Wie erwähnt, zoome ich selten über die 400mm hinaus, weil dann selbst mit Tele-Optik primär AI-Slob übrig bleibt. Wer sich selber davon überzeugen will: Auf einer Beobachtungsstation des leider halb ausgetrockneten Salt Water Lakes nahe Larnaca habe ich mal testweise 400-800-1600 mm Zoom mit und ohne Tele-Konverter ausprobiert. Entscheidet selbst, ob die Zeiss-Optik da noch brauchbare Aufnahmen hervorbringt. Die Kamera war dabei grob auf einer Holzplanke stabilisiert.
Raw Lighting: Weniger AI, kein HDR
Neu am Vivo X300 Pro ist eine Einstellung im regulären Photo-Modus namens Raw Lighting, die HDR Ein/Aus ersetzt. Laut Vivo wird damit nicht nur HDR ausgeschaltet sondern auch die AI-Verarbeitung reduziert, was zu natürlicheren Aufnahmen führen soll, die mehr nach klassischer Kamera aussehen. Eine reduzierte AI-Verarbeitung ist meiner Meinung nach durchaus wünschenswert, in den Einstellungen kann man auch die extreme AI-Nachbearbeitung von Zoomaufnahmen separat regulieren. Leider führt die Kombination mit dem Abschalten von HDR dann gerade bei hoher In-Bild-Dynamik oft zur Überbelichtung, wie etwa einige Beispiele unten zeigen. Auch die Verschlusszeit ändert sich durch diese Option teils stark.
Kamera-App wird unübersichtlicher
Im Vergleich zu Samsung Galaxy Kameras erlaubt Vivo viele Eingriffe in die Bildgestaltung, was zu mehr künstlerischer Freiheit führt. Als Beispiel seien hier die vielen Stile genannt, von Schwarz/Weiß über meinen Favoriten Textured bis hin zu Classic Negative und Positive. Leider wird die Kamera-App aber auch zunehmend unübersichtlich. Hier fehlt mir etwas die Konsistenz. Das nun Landscape und Night Modus benannte Sammelbecken für alle möglichen Spezialmodi wie Long Exposure, Timelapse, Supermoon oder Astro-Fotografie ist prinzipiell eine gute Idee, doch innerhalb dieses Modus herrscht aktuell etwas Chaos. Manche Einstellungen sind etwa über den Settings-Button oben rechts erreichbar, manche über einzelne Buttons an der rechten Seite oder links oben, der Timelapse-Modus findet man dagegen rechts unten neben dem Auslöser.
Ebenfalls zu erwähnen ist der komplett separate Street Photography Modus, dessen Sinn sich mir nie ganz erschlossen hat. Auch der separate Snapshot-Modus könnte eigentlich als simpler Button analog zum Raw Lighting-Modus im regulären Photo-Mode implementiert werden. Apropos Raw Lighting: Dieses Feature ist nach wie vor nicht per Update an ältere Modelle verteilt worden, obwohl OriginOS 6 mittlerweile auch auf Vivo X200 Ultra und Vivo X100 Pro verfügbar ist. Offenbar profitieren ältere Vivo-Flaggschiffe nicht oft von neuen Kamera-Features. Auch Updates, die explizit verbesserte Kamera-Algorithmen der neueren Modelle beinhalten, sind mir nicht aufgefallen.
50/200 Megapixel: Vorteile?
Anders als Oppo setzt Vivo nach wie vor standardmäßig auf 12 Megapixel Fotos. Wer mehr will, muss also explizit 50 Megapixel für alle drei Brennweiten oder 200 Megapixel für das 85mm Telefoto auswählen, das geht im Photo- und Landscape/Night-Modus. Im Gegensatz zu meinen Erfahrungen mit dem Oppo Find X9 Pro gelingt ein 200 MP Foto am Vivo X300 Pro deutlich schneller - in wenigen Millisekunden. Ob es den Aufwand rechtfertigt, wollte ich kurz überprüfen:
Erstmal auffällig ist der leicht unterschiedliche Weißabgleich, konstant bei jeweils drei Aufnahmen. Das 200 MP Foto ist deutlich wärmer/rötlicher, was gut zum nahenden Sonnenuntergang passt aber nicht konsistent mit dem 12 MP Shot ist. In der Vergrößerung sieht man Unterschiede, doch die sind in meinen Augen marginal. Allzu viele Details werden angesichts der um das mehr als sechsfach höheren Dateigröße nicht hervorgezaubert. Wie schon beim Oppo Find X9 Pro stellt sich die Frage, ob 200 Megapixel tatsächlich einen Mehrwert bringen. Das Vivo X300 Pro war übrigens nicht auf einem Stativ, ruhte aber auf einem Geländer, war also halbwegs stabilisiert.
Das Schöne an Vivo: Die Foto-Stile
Als langjähriger Vivo-Fan freue ich mich immer wieder über die kreative Vielfalt in punkto Foto-Stile. Für diesen Kamera-Test habe ich fast ausschließlich den Default-Vibrant Stil genutzt, doch wie unterschiedlich ein und dasselbe Motiv mit einigen der anderen Stile aussieht, kann ich etwa am Beispiel des Lighthouse im archäologischen Park von Pafos zeigen. Die wichtigsten Stile sind sicher Textured, Schwarz/Weiß, Zeiss sowie Classic Negative, es stehen aber noch viele weitere für kreative Experimente zur Verfügung - im Porträt-Modus auch der vor einigen Jahren sehr gehypte Vintage-Stil. Auch hier wäre schön, wenn die Kamera-App die jeweilige Stilvariante tracken und im Album anzeigen würde. Dann müsste ich 2 Wochen nach den Aufnahmen nicht raten, welches Foto nun mit welchem Stil geschossen wurde.
4K120 Videoaufnahmen
Videos sind nicht mein Schwerpunkt, allerdings wollte ich nach meiner eher mauen Erfahrung mit 4K120 auf dem Vivo X200 Ultra mal checken, ob die hochauflösende und flüssige Zeitlupe am Vivo X300 Pro besser funktioniert. Tatsächlich sind alle meine 4K120 Panning-Aufnahmen butterweich geworden, sowohl als Slowmo-Version als auch mit 30fps Playback. Das gilt zumindest für die Videos mit 24mm Hauptkamera, das Ultraweitwinkel kann man leider nur bis maximal 4K60 nutzen und beim Telefoto empfiehlt sich ein Gimbal zur Stabilisierung.
Fazit Teil 1: Ja, der Tele-Konverter lohnt sich
Wer gerne weit in die Welt hinausblickt, profitiert vom Zeiss Tele-Konverter tatsächlich. Die Bilder werden natürlich, weniger überschärft und detailreicher - optischer halt, die KI muss weniger halluzinieren. Bei wenig Licht sollte man vermutlich für etwas Stabilisierung sorgen, das empfiehlt sich ohnehin bei Einsatz einer externen Optik, da sich der Schwerpunkt des Handys dadurch stark verändert und man eine ruhe Hand braucht. Beim Nachfolger wünsche ich mir eine Kommunikation mit der Software im Handy, damit Aufnahmen mit der Optik entsprechend markiert werden und der Einsatz noch schneller klappt. Noch lieber wäre mir natürlich ein optischer 8-10x Zoom direkt im Handy, damit man kein weiteres Gerät mitschleppen muss.
Den Kameragriff habe ich übrigens nur an einem Tag tatsächlich intensiv genutzt, für alle die das Feeling einer echten Kamera in der Hand schätzen, ist das allerdings ein cooles Zubehör, zumal er auch den Shortcut-Button als Kamera-Auslöser ablöst und einen Zusatzakku an Bord hat. Von Vivo wünsche ich mir in Zukunft bei jedem Modell einen dedizierten Kamera-Button wie am Vivo X200 Ultra, eine etwas logischer strukturierte und aufgeräumte Kamera-App sowie Kamera-Updates für ältere Modelle. Im zweiten Teil dieses Tests, der vermutlich um die Weihnachtszeit herum erscheinen wird, vergleiche ich viele weitere Fotos aus Zypern (und ein paar aus Malta) zwischen dem Vivo X300 Pro, dem Vivo X200 Ultra, dem Vivo X100 Pro und dem Samsung Galaxy S23 Ultra.
Quellen
Eigene
Alle Bilder und Fotos: Alexander Fagot, Notebookcheck











































































