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Kommentar | 8P-Objektive sind das "nächste große Ding" bei Smartphones, doch sind sie wirklich besser?

Ein Objektiv mit mehr Linsen macht nicht unbedingt bessere Bilder. (Bild: Notebookcheck)
Ein Objektiv mit mehr Linsen macht nicht unbedingt bessere Bilder. (Bild: Notebookcheck)
Smartphone-Hersteller haben die letzten Jahre damit verbracht, ihren Kunden immer noch größere Zahlen an den Kopf zu werfen: 108 Megapixel Kamera-Sensoren, 100-fache Zoom-Funktionen und Zeitlupen mit 960 Bildern pro Sekunde sind erst der Anfang, die Schlacht um die Anzahl der Linsenelemente hat gerade erst begonnen. Doch sind Objektive mit mehr Linsen tatsächlich besser?
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Komplexere Objektive werden in den nächsten Monaten und Jahren vermutlich deutlich stärker beworben, dem Analysten Ming-Chi Kuo zufolge sollen nämlich bald deutlich mehr High-End-Smartphones auf 8P-Objektive setzen, während das iPhone 12 hochwertige 7P-Objektive erhalten soll. Die Angabe beschreibt einfach, aus wie vielen Linsenelementen ein Objektiv besteht. Doch ist in diesem Fall mehr tatsächlich besser?

Sind Smartphones mit nur sechs oder sieben Linsen pro Objektiv bald veraltet? (Bild: Maxim Potkin, Unsplash)
Sind Smartphones mit nur sechs oder sieben Linsen pro Objektiv bald veraltet? (Bild: Maxim Potkin, Unsplash)

Viele Missverständnisse sorgen für Verwirrung

Wie ein Blick auf diverse Beiträge in Foren im Internet schnell klar macht kursieren viele Missverständnisse über die Rolle der Linsenelemente eines Objektivs im Internet. Bevor wir also zu den tatsächlichen Auswirkungen kommen sollten erstmal die Grundlagen erklärt werden.

Ein Objektiv besteht aus mehreren Glas- oder Plastik-Elementen. Für den Nutzer ergeben sich durch das Design zwei grundlegende Eigenschaften: Die Brennweite und die maximale Blendenöffnung. Die Brennweite bestimmt, wie viel auf dem Bild zu sehen sein wird, also vereinfacht gesagt ob es sich dabei um ein Ultraweitwinkel-, ein Normal- oder aber ein Tele-Objektiv handelt. 

Die maximale Blendenöffnung gibt an, wie groß der Durchmesser der größtmöglichen Blendenöffnung im Verhältnis zur Brennweite ist – f/2 bedeutet, dass die maximale Blende der Hälfte der Brennweite entspricht, sprich ein 50 mm f/2-Objektiv hätte eine maximale Blendenöffnung von 25 mm. Je größer die Blendenöffnung (also je kleiner die Zahl), desto unschärfer wird der Hintergrund (ohne eine Bokeh-Simulation einsetzen zu müssen). 

Theoretisch gelangt dann auch mehr Licht zum Sensor, wobei dies nur bedingt zusammenhängt – ein Teil des Lichts wird von den Linsen reflektiert, ein f/1.4-Objektiv kann also je nach Design und verbautem Glas T/1.4 oder auch T/1.8 aufweisen, sprich etwas mehr oder weniger Licht zum Sensor führen.

Damit lassen sich bereits viele Missverständnisse ausräumen: Ein Objektiv mit mehr Linsen ist nicht grundsätzlich besser für Bilder bei wenig Licht geeignet, die Bilder müssen nicht zwangsläufig schärfer sein, die Auflösung ist nicht automatisch höher. Aber welche Vorteile bietet ein Objektiv mit mehr Linsen denn nun?

Das Periskop-Zoom des Huawei P40 Pro setzt zusätzlich einen Spiegel ein, um das Licht umzuleiten. (Bild: Huawei)
Das Periskop-Zoom des Huawei P40 Pro setzt zusätzlich einen Spiegel ein, um das Licht umzuleiten. (Bild: Huawei)

Diese Vor- und Nachteile können komplexere Objektive tatsächlich bieten

Jedes zusätzliche Linsenelement bietet die Möglichkeit, bestimmte optische Fehler zu korrigieren. Wenn ein Objektiv beispielsweise eine kissenförmige Verzeichnung aufweist, so kann diese durch ein zusätzliches Element korrigiert werden. Dasselbe gilt für chromatische Abweichungen, die häufig als lila Farbsäume an kontrastreichen Kanten sichtbar werden, sowie für die meisten Defizite, die ein Objektiv aufweisen kann.

Diese komplexeren Designs können allerdings auch Nachteile aufweisen, beispielsweise dass etwas weniger Licht am Sensor ankommt, da jede Linsenoberfläche ein wenig Licht reflektiert – durch moderne Beschichtungen ist dieses Problem in der Praxis meist aber nicht sonderlich relevant. Was allerdings relevant ist, das sind die Größe, das Gewicht und der Preis eines Objektivs: Optisches Glas ist teuer und schwer. Außerdem können Linsen auch neue optische Defizite in das System einschleusen.

Zur Verdeutlichung ist im Bild unten ein Vergleich zwischen dem Zeiss Otus 1.4/55 und dem Leica Summilux-M 1.4/50 ASPH. zu sehen. Das Otus ist in vielerlei Hinsicht besser korrigiert, etwa was die chromatischen Aberrationen oder auch den Schärfeabfall zum Bildrand hin angeht, das Objektiv von Carl Zeiss ist mit knapp über einem Kilogramm aber deutlich schwerer als das 335 Gramm leichte Leica Summilux, auch der Größenunterschied ist signifikant. 

Und trotz vier zusätzlicher Linsen schneidet das Objektiv in einigen Bereichen schlechter ab, etwa bei der relativen Verzeichnung, die beim Zeiss bei knapp einem Prozent liegt, während Leica diese auf rund 0,4 Prozent reduzieren konnte. Viele der optischen Korrekturen wurden durch teures Spezialglas erzielt, während Leica im knapp 14 Jahre alten Design des Summilux-M 1.4/50 ASPH. lediglich auf eine asphärische Oberfläche setzt.

Der Vergleich zeigt zwei Objektive mit unterschiedlichen Design-Zielen. (Bilder: Zeiss / Leica)
Der Vergleich zeigt zwei Objektive mit unterschiedlichen Design-Zielen. (Bilder: Zeiss / Leica)

Fazit: Sind Objektive mit mehr Linsen tatsächlich besser?

Wie so oft lässt sich diese Frage nicht so einfach mit einem Ja oder einem Nein beantworten. Zusätzliche Linsenelemente ermöglichen es unter Umständen, optische Defizite besser zu korrigieren. Ein Objektiv mit deutlich weniger Linsen kann durch ein besseres optisches Design, durch exotisches Spezialglas oder auch durch spezielle Beschichtungen aber am Ende bessere Bilder liefern.

Wenn die große Marketing-Welle startet, in der Hersteller 8P-, 9P- oder gar 12P-Objektive in ihren Smartphones anpreisen, dann sollte man besser zweimal hinschauen und nicht blind davon ausgehen, dass das Gerät am Ende bessere Bilder oder Videos liefern kann als ein vergleichbares Smartphone mit demselben Bildsensor, das auf ein einfacheres Objektiv setzt.

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Kommentar von Hannes Brecher
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Autor: Hannes Brecher,  6.07.2020 (Update: 28.09.2020)